Buch

«Rodolfo Olgiati – ein Leben für Frieden und Gerechtigkeit»

„Wir wissen, dass, wenn es auch, äusserlich gesehen, beim Geben darum geht, einem ganz bestimmten Menschen hier und jetzt zu helfen, tiefer betrachtet, dabei doch ebenso sehr der Geber selbst in Frage steht.“ (Rodolfo Olgiati. Nicht in Spanien hat‘s begonnen. 1944)

Rodolfo Olgiati (1905 – 1986) war eine der prägendsten Figuren eines auf einem christlichen Fundament fussenden Helfens: vom spanischen Bürgerkrieg, wo er als Leiter der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Spanienkinder Tausende Kinder versorgte, über die Kinderhilfe im Zweiten Weltkrieg und die „Schweizer Spende“, die, erstmals in der Geschichte der modernen Schweiz, Not- und Aufbauhilfe im kriegszerstörten Europa im staatlichen Auftrag leistete, bis zum Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, dem er von 1949 bis 1970 angehörte und das er auf zahlreichen Missionen vertrat. Von 1959 bis 1971 leitete er das evangelische Tageszentrum Wartensee in Rorschach und prägte den politischen und religiösen Dialog in einer Zeit des Aufbruchs und grosser Veränderungen.

Rodolfo Olgiati war einer, der sich mit der Rolle des Helfers nicht zufrieden gab, sondern die Motive der Gebenden kritisch hinterfragte und mit ihnen brach, wenn sie nur aus Eigennutz handelten. So trat er im Zweiten Weltkrieg von seinem Amt als Zentralsekretär der SRK Kinderhilfe zurück, als er realisierte, dass der Bundesrat das Hilfswerk zunehmen für seine politischen Zwecke instrumenta-lisierte. Olgiati hatte früh realisiert, dass es beim Helfen und Geben auch um Gerechtigkeit geht: zwischen den Menschen und zwischen den Völkern, zu einer Zeit, als Entwicklungshilfe sich noch weitgehend darauf beschränkte, Nothilfe zu leisten. Dazu kommt sein lebenslanges Wirken für die Einführung eines Zivildienstes.

Olgiatis Wirken überspannt fünf Jahrzehnte sehr bewegter Schweizer Geschichte, von den 1930er- bis in die 1980er-Jahre, von einem Staat, der sich weitgehend selbst genügte, zu einem Land, das sich als Teil der Welt zu verstehen begann. Seine Arbeit steht für den steten Tropfen, der den Stein höhlt, für ein humanitäres Wirken, das nach und nach zur Staatsaufgabe werden sollte, und für eine Nachdenklichkeit, die über das Helfen hinaus auch die grossen Fragen nach einer gerechten Welt nicht scheute. Sie sind heute so wichtig und aktuell wie zu Lebzeiten Olgiatis.

Rodolfo Olgiati war Kosmopolit und Weltbürger, und er war zugleich bodenständig mit Wurzeln im Tessin, im Bündnerland und in Bern, wo er, nach dem frühen Verlust seines Vaters, prägende Jahre mit seiner alleinerziehenden Mutter in steter Wohnungs- und Existenznot verbrachte. Graubünden sei seine erste, Bern seine zweite Heimat, schrieb er in seinem Lebenslauf. Ebenso prägend waren, nach seinem Studium als Fachlehrer der Mathematik und Physik an der ETH Zürich, drei Jahre an der humanistisch geprägten Odenwaldschule in Deutschland in den Jahren 1929 bis 1932 am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme, und, ab Herbst 1933, die Arbeit in einem Bildungs- und Arbeitslager für Appenzeller Arbeitslose in Walzenhausen, wo seine „eigentliche Lebensarbeit“ begonnen habe.

Rodolfo Olgiati fand, nach einem Erweckungserlebnis 1935, zu seinem „persönlichen Glauben“, den er in einem versöhnlichen Gebet des dänischen Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard zum Ausdruck brachte: „Unendliche Liebe, die nie aufhört, allzeit liebreich auszuhalten mit mir! Oh, während ich schlafe, wachst Du, und, wenn ich wachend mich irre, so machst Du selbst den Irrtum zu dem noch Besseren, als das Richtige gewesen wäre.“Es war auch eine Hommage an seine „über alles geliebte“ Frau Irma Schneider, die er während seiner Tätigkeit für die Arbeitsgemeinschaft für Spanienkinder in Spanien kennen- und liebengelernt hatte.

Es gibt, abgesehen von einem Bändchen zur Erinnerung an Rodolfo Olgiati, das kurz nach seinem Tod erschien, und Erwähnungen in verschiedenen historischen Werken primär zur Zwischenkriegszeit und zur Zeit des Zweiten Weltkrieges keine Arbeit über Leben und Werk dieses grossen Schweizer Humanisten. Diese Lücke soll mit einer Biographie geschlossen werden, die auch eine wichtige Etappe der zeitgenössischen Geschichte der Schweiz behandelt.

Das Ziel dieser Arbeit ist eine biografische Gesamtdarstellung von Rodolfo Olgiatis Leben und Werk. Die Arbeit in verschiedenen Archiven wird im Mittelpunkt der Quellenrecherche stehen. Zu diesen Quellen gehören neben dem Schweizerischen Sozialarchiv, das den reichhaltigen privaten Nachlass Olgiatis, unter anderem mit seiner Korrespondenz und zahlreiche Berichten über seine Tätigkeit in Spanien, in Südfrankreich und nach Kriegsende in den kriegszerstörten Länder Europas, dazu Zeitungsartikel und Leserbriefe beherbergt, das Schweizerische Bundesarchiv, das Archiv des IKRK und des Zivildienstes, das St. Galler Staatsarchiv, das Archiv des Tagungszentrums Wartensee, das Archivo de la Biblioteca Nacional de España, das Archivo Histórico Nacional in Madrid, das deutsche Bundesarchiv und andere. Daneben sollen auch Zeitzeugen zu Wort kommen, namentlich seine Kinder und noch lebende Weggefährten und Mitarbeiterinnen in seinem zweiten und dritten Lebensabschnitt.

Die Biographie mit dem Arbeitstitel «Rodolfo Olgiati. Ein Leben für Frieden und Gerechtigkeit» wird, ohne Quellenverzeichnis und Anmerkungen ca. 300 Buchseiten umfassen. Ein Verlag ist noch nicht bestimmt.